Die reichste Erbin Europas im Aufstand gegen den Hof

Die reichste Erbin Europas im Aufstand gegen den Hof

Geboren in der französischen königlichen Familie, erzogen als petite-fille de France (Enkelin Frankreichs), geriet Anne Marie Louise d’Orléans als ein 20-jähriges Mädchen in den Wirbel eines historischen Geschehens namens Fronde und nahm trotz ihrer königlichen Herkunft am Aufstand gegen den Hof teil.

Anne Marie Louise d’Orléans, bekannt auch unter dem Namen La Grande Mademoiselle, wurde im Mai 1627 in der königlichen Familie geboren und war eine der reichsten Erbinnen in Frankreich. Ihr Vater Gaston d’Orléans war der Sohn des ermordeten französischen Königs Heinrich IV. und Bruder des Königs Ludwig XIII. und ihre Mutter war Marie de Bourbon, Herzogin von Montpensier. Einige Tage nach Anne Maries Geburt, starb die Herzogin von Montpensier und überließ ihrer Tochter ein großes Erbe. Dieses Erbe und ihre Titel wiesen darauf hin, dass Anne Marie ihr dynastisches Kapital durch Heirat für einen der europäischen Thronfolger gut investieren würde. Allerdings geschah dies nie. Obwohl die Heiratsangebote u.a. vom englischen König Karl II., dem portugiesischen König Alfonso VI. und Karl Emanuel von Savoyen kamen, resultierte keine von ihnen mit einer Ehe. Hier soll man erwähnen, dass die Anne Maries Ehe, als eines Mitglieds der königlichen Familie, von politischer Bedeutung war. Ihre Heirat sollte in erster Linie ein gutes Bündnis repräsentieren und sie war nicht die Einzige, die von ihren Heiratsangeboten entschied. Deswegen musste sie, weil sie den Heiratsantrag des portugiesischen Königs Alfonso VI. abgelehnte, den Hof verlassen und eine Zeitlang im Exil verbringen.

Anne Marie war eine hartnäckige, dickköpfige und eigenwillige Person, die ihrer Bedeutung bewusst war. Als Kind befand sie sich oft im Konflikt mit Kardinal Richelieu, der bis zu seinem Tod 1647 der einflussreichste Berater des Königs war, und den sie der Vertreibung ihres Vaters Gaston beschuldigte (Gaston nahm an ein Paar Verschwörungen gegen seines Bruders des Königs Ludwig XIII. teil). Sie hatte auch keine Angst vor Konflikt mit dem Kardinal Mazarin, der Richelieus Funktion übernahm. Oft bewegte sie sich in Gesellschaft von Menschen, die am Hof unerwünscht waren, und lachte dort Mazarin aus. Sie stand in einem zumindest interessanten Verhältnis zur Regentin Anna von Österreich. Da die Gouvernante von Mademoiselle gute Beziehungen zu Anna von Österreich hatte, wusste die Mademoiselle viele Geheimnisse der Regentin. Jedoch trotz einer feindlichen Haltung gegenüber ihr (Anne von Österreich) verriet sie in ihren Memoiren Annes Geheimnisse nicht. Der Mademoiselle wurden oft raues Benehmen und Wutausfälle vorgeworfen. Im Allgemeinen war sie ein Freelancer, der sich im Einklang mit seinen momentanen Launen und Gefühlen benahm. In ihren Memoiren schrieb sie über sich selbst Folgendes: „Ich weiß nicht, wie etwas anderes zu sein, als eine Heldin. Ich bin von solch hoher Geburt, dass ich immer groß und adelig bleiben werde, egal was ich mache. Und sie können ruhig sagen, dass ich meinen Vorlieben folge und meinen Weg beschreite. Ich wurde geboren, dies zu tun.“

Fronde – Aufstand gegen den mächtigen Kardinal

Über die Konflikte unter dem Namen Fronde könnte man Vieles schreiben. Der Mann, dessen Entscheidungen die ganze Geschichte vom Aufstand hervorriefen, war der Kardinal Mazarin, der wichtigste Berater der Regentin Anne von Österreich, der auf diese Position 1643 nach dem Tod seines Vorgängers Kardinal Richelieu (1642) und des Königs Ludwig XIII kam. Mazarin musste den Krieg gegen die spanischen und österreichischen Habsburgern weiterführen, der seit 1635 dauerte. Ein langer Krieg war ein sehr kostspieliges Spiel, das jemand finanzieren musste. Dabei war die Besteuerung der schnellste Weg, um an Geld zu kommen. Um das Geld durch Besteuerung effizienter zu sammeln, sollte man die Macht möglichst viel zentralisieren. Zu diesem Zweck führte Mazarin die sogenannten Intendanten ein, Beamten, die die Gewalt und Besteuerung in den Provinzen kontrollierten. Mazarin setzte Richelieus Politik der Zentralisierung und Besteuerung fort, weswegen eine kritische Masse entstand, die in die Opposition ging.

Einer der Vertreter des Pariser Parlaments sagte: „Mein Herr, das Land wird schon zehn Jahre lang zerstört, die Bauern mussten ihre Möbel verkaufen, um die Steuer zu bezahlen und schlafen jetzt im Stroh. Um Paris den Luxus zu ermöglichen, in dem er lebt, müssen Millionen von unschuldigen Menschen nur Roggen- und Haferbrot essen, wobei ihr einziger Schutz ihre Armut ist.“ Unzufriedene Adelige in Paris traten dem Protest des Pariser Parlaments gegen die Entscheidungen Mazarins und gegen seinen Anteil an der Herrschaft bei und kamen aus Paris nach ihren provinziellen Stammsitzen und zogen ihre Kunden in den Aufstand ein. Bald zerbrach dieses Bündnis. Während die parlamentarische Partei versuchte, die legislative und finanzielle Kontrolle über das Königreich zu sichern, kämpften die Adeligen für ihre persönlichen Interessen, wie z.B. für die Verwaltung bestimmter Provinzen und Besitztümer. Im März 1649 ging Mazarin ins Exil aber, obwohl das Pariser Parlament beruhigt wurde, versuchten es die Adeligen weiterhin, ihre Interessen zu verwircklichen. Ludwig II. Bourbon Conde, der anfangs auf der Seite Mazarins und Anne von Österreich stand, versuchte beispielsweise seine Macht noch zu erweitern und plante eine Ehe zwischen dem Herzog von Richelieu und Anne Poussart du Vigean. Diese Ehe hätte den Herzog unter den Einfluss Condes gebracht, wodurch sich Conde die Kontrolle über die wichtigste Festung Frankreichs – Le Havre – hätte sichern können. Richelieu bekam 1626 die Festung und überlies sie seinem Neffen. Obwohl sich Mazarin im Exil befand, befahl er die Verhaftung von Conde, Longeville und Condes Bruder Conti. Einer der Gründe könnte ausgerechnet die geplante Ehe zwischen dem Herzog Richelieu und Anne Poussart sein.

Anne Marie im Konflikt

Am Anfang stellte sich Anne Marie auf die Seite der Royalisten. Zu dieser Zeit schmiedete sie nämlich den Plan, sich für den damals noch minderjährigen Ludwig XIV. zu heiraten und hoffte darauf, dass royalistische Einstellungen ihr „Punkte“ bei der Mutter von Ludwig XIV., beziehungsweise Anne von Österreich und beim Kardinal Mazarin verschaffen würde. Ihre Neigung zu diesem Lager hat ihr aber keinesfalls geholfen. Als ihr das 1651 klar wurde, verließ er die royalistische Seite und schloss sich dem aufständischen Adeligen und Feldherr Ludwig II. Bourbon Conde an.

Die Mademoiselle fing dann an, von der Ehe mit diesem Adeligen zu träumen, wobei die Tatsache, dass er verheiratet war, sie nicht allzu viel störte. Natürlich blieb das Ganze in ihrer Fantasie, reichte aber aus, in den Konflikt mit ihrem ganzen Herzen einzutreten, genauso wie die romantischen Heldinnen in den Geschichten, wo sie in ihrer Freizeit ihre Inspiration fand. In der Zwischenzeit herrschte in Paris ein totales Chaos. Unter dem Druck der aufständischen Adeligen verließ Kardinal Mazarin Frankreich zum zweiten Mal und die aufständischen Kräfte nahmen Paris ein. Obwohl die Aufständischen im Grunde genommen gegen Mazarin, seinen Einfluss und seine Macht waren, stellten sich die Mitglieder des Parlaments nicht auf die Seite Condes. Sie entschieden nur, dem König eine offizielle Beschwerde einzureichen und versuchten auch die regionalen Parlamente anzuleiten, dasselbe zu tun.

Während unterschiedliche Parteien und Fraktionen um den Einfluss kämpften, „kaufte“ Mazarin Turenne – einen der Feldherren der adeligen Kräfte – der jetzt gegen seine gestrigen Verbündete kämpfte. Die königliche Armee fing an, in Richtung Orléans vorzudringen und näherte sich dem Besitz ihres Vaters Gaston. Da die Bürger von Orléans Gaston gegenüber nicht allzu treu waren, war seine Anwesenheit dort dringend nötig, um zu verhindern, dass sich die Stadt auf die „falsche“ Seite stellt. Gaston hatte kein Interesse, an diesem Konflikt teilzunehmen und wollte größere Konflikte nur vermeiden. Deswegen entschied er, in Paris zu bleiben und seine Tochter, die Mademoiselle, ging nach Orléans. Mit vollständiger einsatztauglicher Ausrüstung und von Soldaten beglitten begab sie sich auf den Weg nach Orléans. Als sich die Mademoiselle und ihre Begleitung der Stadt angenähert haben, bekam sie die Nachricht, dass die Einwohner der Stadt Angst haben und neutral bleiben wollen. Da der König nicht entfernt war, wollten sie ihn nicht verärgern, falls sie die Mademoiselle und ihre Armee in die Stadt einlassen würden. Deswegen baten sie sie, in einem der naheliegenden Schlösser Unterkunft zu finden, zumindest, bis der König und seine Armee nicht weggehen. Jedoch war Mademoiselle mit dieser Botschaft gar nicht beeindruckt und entschied, in Orléans hineinzugehen. Dabei ließ sie sich nicht verwirren, als ihr niemand das Stadttor öffnen wollte. Mit zwei Männern aus ihrer Gefolgschaft suchte sie nach einer unbewahten Stelle, wo es möglich war, in die Stadt einzudringen. Als sie das Flussufer von Loire erreichten, sahen sie einen Mann, der auf einem Boot vorbeikam und ihnen anbot, sie zu den Stadttoren zu bringen, die sich am Dock befanden. So kamen die Mademoiselle und ihre Begleitung in die Stadt hinein, aber sie ließen die Armee doch außerhalb der Stadtmauer. Obwohl sie in den ersten ein paar Tagen mit der Behandlung, begeistert war, sah sie bald ein, dass sie von der Stadtverwaltung nur als ein gewöhnliches Mädchen und nicht als ein Soldat angesehen wird. Dazu glorifizierte und lobte man sie nicht, in dem Ausmaß, das sie als angemessen erwartete, weswegen ihr das Ganze bald langweilig wurde. Deswegen bat sie erfolglos ihren Vater an, sie vom Kommando zu befreien. Gaston wollte sie nicht in Paris haben, weil sie zu launisch und leichtsinnig war, wobei in Paris Chaos herrschte.

Trotzdem war die Mademoiselle fest entschlossen, Orléans zu verlassen und Conde zu unterstützen, sowie Richtung Paris zu gehen, ohne die Vorwürfe ihres Vaters zu berücksichtigen. Zwei Monate nach ihrer Rückkehr nach Paris, genauer gesagt am 2. Juli 1652, erhielt sie eine Botschaft von Conde, in der er meldet, dass er in der Morgendämmerung von königlichen Truppen angegriffen wurde und dass die Tore von Paris geschlossen blieben. Nachdem sie kaum noch ihren Vater dazu überredete, über sie dem Stadtrat eine Bitte einzureichen, die Stadttore zu öffnen und nach langer Überredung im Stadtrat, gelang es ihr, einen schriftlichen Befehl zu bekommen. Sie wusste, dass für Condes Rettung jeder Augenblick zählt, und rannte durch die Straßen von Paris, um schnell wie möglich die Stadttore zu erreichen und den Befehl, sie zu öffnen, zu überreichen.

Die Tore wurden geöffnet, aber in ein paar Stunden an jenem heißen Sommertag durften nur Verwundete und Tote in die Stadt. Vor den Stadtmauern fand eine schwere und blutige Schlacht statt. Den Einwohnern dieser Stadt war schon die Nase voll von Unruhen, Chaos und Ambitionen anderer Menschen, weswegen es für sie egal war ob Conde eine Niederlage erleiden könnte. Aber die Mademoiselle, die in Conde verliebt war, jubelte für ihn. Um zu sehen, wie die Schlacht verläuft, kletterte sie auf eine Bastion der Bastille und bemerkte, wie sich ein Teil der königlichen Kavallerie unter der Führung Turennes vorbereitet, Conde den Rückweg zur Stadt abzuschneiden. Dann gab sie den Befehl, dass man die Kanone auf der Bastille umdreht und auf Turennes Kräfte schießt, die sich den Toren annäherten. Das Kanonenschießen war erfolgreich und die Armee der Fronde marschierte in die Stadt ein.

Zwei Tage nach dem Ende der Schlacht trafen sich die Vertreter der Stadtverwaltung und des Parlaments, die schnell wie möglich einen Frieden mit dem König schließen wollten. Allerdings mischten sich die Fürsten in das Ganze ein, weil sie einen Rat gründen wollten, der den König kontrollieren würde. Dann kam es zum vollständigen Zerbrechen dieses schwierig geschlossenen Bündnisses. Das Parlament schickte Gesandten zum König nach Compiegne und bat ihn, in die Stadt zurückzukehren. Der König versprach eine Amnestie für alle, die ab sofort und bedingungslos ihm wieder Gehorsamkeit leisten würden. Conde trat der spanischen Armee bei und die Mademoiselle wollte auf die Bedingungen des Königs nicht eingehen. Deswegen bekam sie vom König eine Nachricht, dass sie ihre Residenz Tuilers verlassen soll, damit man dort den Bruder des Königs, den Prinzen Phillip, unterbringen kann.

Das Schicksal der Mademoiselle

Nach dem gescheiterten Versuch, in der Residenz ihres Vaters in Luxemburg Unterkunft zu finden, verließ sie Paris. Nach einiger Zeit im Exil lebte Anne Marie eine Zeitlang auf einem ihrer Besitztümer, St. Farge. Dort fing sie an, ihre Memoiren zu schreiben, die sie fast bis zu ihrem Tod schrieb. Sie entwickelte ein Interesse für Architektur und ließ das alte Schloss völlig renovieren. Sie verwandelte ihre Umgebung in einen Mini-Hof. Sie bereitete oft Aufführungen, wobei sie sich mit denselben Aktivitäten beschäftigte, als ob sie an einem richtigen Hof gelebt hätte – vom Tanzen bis zur Jagd. In ihrem Exil entdeckte sie eine Leidenschaft fürs Schreiben und oft machten ihr viele Namen der intellektuellen Elite Gesellschaft, u.a. Pierre-Daniel Huet und Jean Regnault de Segrais. Beide waren Mentoren der zwei einflussreichsten Schriftstellerinnen des 17. Jahrhunderts – Madeleine de Scudéry und Marta Madeleine Pioche de La Virgine.

Im Jahre 1657 durfte sie auf den Hof zurückkehren, was sie auch tat. In der zweiten Hälfte der 1660er Jahre lernte sie auf dem Hof Antonin Nompar de Caumont, den Marquis von Puygullhem, den Grafen von Lauzun kennen. Nach dem gescheiterten Versuch ihn zu heiraten und nach seinem 10-jährigen Aufenthalt im Gefängnis heiratete sie ihn endlich, aber ihre Ehe war nur von kurzer Dauer. Sie starb 1693 und beim Begräbnis wurde sie laut Saint Sion als die reichste unverheiratete europäische Prinzessin bezeichnet.

So stand in den Memoiren – ein schokierender Eintrag

Der Anblick auf die Folgen des Kampfes prägte sich tief in ihr Gedächtnis ein.

In den frühen Morgenstunden des 27. August 1648 wurde Anne Marie Louise d’Orléans vom Geräusch der Trommeln aufgewacht. Dieses Geräusch kam ihr keinesfalls unbekannt vor, aber an jenem Morgen schien es ihr, unheilbringend zu klingen. Nur ein Tag davor konnte sie auf ihrem Weg zum Palais Royal kaum an die Barrikaden vorbeikommen, die von bewaffneten Einwohnern Paris errichtet wurden. Deswegen hatte sie an diesem Morgen keine Zeit für langsames Aufwachen. Anne Marie eilte zum Fenster und sah etwas, was sich tief in ihr Gedächtnis eingeprägt. Ein Regiment kehrte nach dem Gefecht mit den Aufständischen auf ihre Posten zurück, wobei sich unter den Soldaten Verwundete befanden. In ihren Memoiren, die sie Jahrzehnte lang nach diesem Ereignis schrieb, erinnert sie sich daran, dass sie sich in den kommenden unruhigen Zeiten an solche Szenen gewöhnte, wobei sie nie das Gefühl verlor, dass sich dieses Ereignis fest in ihr Herz schloss.

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